ViveaStories
Schöne Bescherung„Wo sind denn schon wieder die Krippenfiguren, Richard? Letztes Jahr hast du sie doch weggeräumt, oder nicht?“, fragt Agnes lautstark, als sie auf der Leiter zum staubigen Dachboden steht und den gewünschten Karton mit dem Krippenzubehör trotz größter Mühe nicht erspähen kann. „Ich habe ihn dahin geräumt, wo du mir gesagt hast, dass er hin soll“, brummt Richard vor sich hin, während er mit der Girlande für den Kamin kämpft, die schier nicht zu bändigen ist. „Was?“, schreit Agnes nun noch etwas lauter, bevor sie von der Leiter steigt und Richtung Wohnzimmer stapft. „Ach Richard, jedes Jahr dasselbe Spiel. Jetzt hilf mir doch mal.“ Sie stemmt die Hände in die Hüfte und sieht ihrem Mann zu, wie er immer noch versucht, die Girlande so auf dem Kaminsims zu platzieren, dass alle Weihnachtsstrümpfe der Familie fein säuberlich nebeneinander aufgehängt werden können. Denn jedes Jahr werden es mehr. Wo vor 30 Jahren noch zwei Socken hingen, baumeln heute sechs in allen Farben und Mustern und mit den Namen ihrer Kinder und Enkelkinder verziert, die später zum Essen und natürlich zur Bescherung kommen würden. Als Agnes daran denkt, wie viel bis dahin noch zu erledigen ist, schleicht ein kalter Schauer über ihren Rücken und sie beginnt, wirklich ungeduldig zu werden. „So wird das ja nie was, Richard, geh du auf den Dachboden und such nach den Krippenfiguren, ich mache hier weiter. Uns rennt die Zeit davon.“ Leicht verärgert schlurft Richard von dannen, wobei er sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen kann. „Der ganze Zirkus ist eh für die Katz‘. Du steigerst dich da viel zu sehr hinein.“ Auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt, trifft Agnes dieser Seitenhieb unerwartet hart. Geknickt geht sie in die Küche, um sich um das Festessen zu kümmern, während Richard widerwillig den Rest des Hauses schmückt. Nach getaner, getrennter Arbeit sitzen die beiden am Küchentisch und gönnen sich noch ein Glas Wein, bis die Kinder kommen. Betreten und gereizt starren die beiden in verschiedene Ecken und die angespannte Stimmung wird nur durch das Klingeln der Haustür unterbrochen.